Das Statut des ICTY wurde am 25. Mai 1993 durch Resolution 827 des Sicherheitsrates verabschiedet. Ihm zufolge erstreckt sich die Jurisdiktion des Tribunals auf die strafrechtliche Verfolgung von natürlichen Personen, welche sich seit 1. Jänner 1991 auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien schwerer Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht schuldig gemacht haben. Diese Verstöße umfassen „Schwere Verletzungen der Genfer Abkommen von 1949“ (Artikel 2 des Statuts), „Verstöße gegen die Gesetze oder Gebräuche des Krieges“ (Art. 3), „Völkermord“ (Art. 4) und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ (Art. 5).
Unter Bezug auf diese Artikel können neben Völkermord unter anderem Verbrechen wie Mord, vorsätzliche Tötung, Ausrottung, Folter, Vergewaltigung, Plünderung, grausame Behandlung, Verfolgung aus politischen, rassischen und religiösen Gründen, Vertreibung und Deportation geahndet werden. Dabei können die Angeklagten sowohl aufgrund ihrer individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit (Art. 7(1)), welche sich aus dem aktiven Begehen oder Anordnen der unter Art. 2 bis 4 genannten Verbrechen ergibt, als auch aufgrund ihrer Verantwortlichkeit als Vorgesetzte zur Verantwortung gezogen werden, sofern sie es verabsäumten, ihre Untergebenen von der Durchführung dieser Verstöße abzuhalten bzw. angemessen dafür zu bestrafen (Art. 7(3)).
In Artikel 10 wird die Kompetenzverteilung zwischen dem ICTY und nationalstaatlichen Gerichten geregelt, wobei dem Kriegsverbrechertribunal übergeordnete Wichtigkeit zuerkannt wird. Die Verfolgung durch nationalstaatliche Gerichte wird ausgeschlossen, sofern gegen den Beschuldigten „wegen derselben Handlungen bereits vor dem Internationalen Gericht verhandelt wurde“. Umgekehrt darf ein Angeklagter, welcher bereits von einem nationalstaatlichen Gericht wegen unter die Zuständigkeit des ICTY fallenden Vergehen verurteilt wurde, sehr wohl erneut vor dem Tribunal angeklagt werden, sofern „die Handlung, deretwegen er vor Gericht stand, als gewöhnliches Verbrechen bezeichnet wurde“ oder das nationalstaatliche Gerichtsverfahren nicht „unparteilich und unabhängig“ und „mit der erforderlichen Sorgfalt“ abgehalten wurde bzw. nur aus dem Grund vollzogen wurde, um „den Angeklagten vor internationaler strafrechtlicher Verantwortung zu schützen“. Durch diese Regelung wird einerseits der Rechtsgrundsatz ne bis in idem (lat. „nicht zweimal in derselben Sache“) gewahrt, welcher verhindert, dass eine Person mehr als einmal aufgrund desselben Sachverhaltes strafrechtlich belangt wird, andererseits jedoch ausgeschlossen, dass versucht werden kann, potentielle Kriegsverbrecher durch „Alibiprozesse“ im Rahmen der nationalen Gerichtsbarkeit vor einer Verfolgung durch das Tribunal zu schützen.
siehe:
Statut des ICTY