28.08.2008

[Grundlagen] Arbeitsweise des ICTY

Der Chefankläger des ICTY erstellt aufgrund seiner Ermittlungen in Zusammenarbeit mit der ihm unterstellten Anklagebehörde gemäß Artikel 18 des Statuts eine Anklageschrift, welche einem Richter der Strafkammer zugeleitet und von diesem überprüft und gegebenenfalls bestätigt oder abgewiesen wird. Sofern die Anklage bestätigt wurde, kann der Richter auf Antrag des Chefanklägers „Anordnungen und Beschlüsse zur Festnahme, Verhaftung, Herbeischaffung und Überstellung“ gesuchter Personen, sowie sonstige „zur Durchführung des Verfahrens erforderliche Anordnungen“ erlassen. (Art. 19) Unter bestimmten Umständen ist entsprechend Rule 53(B) der RPE des Tribunals auch die Erhebung so genannter „geheimer“ Anklagen möglich, welche erst zu einem späteren Zeitpunkt öffentlich gemacht werden, um die Verhaftung des Angeklagten zu erleichtern. Dieser Regelung entsprechend wurde auch die aktuelle Anklage gegen Radovan Karadžić, die bereits am 31. Mai 2000 bestätigt worden war, erst über zwei Jahre später, am 11. Oktober 2002, offengelegt.

Nachdem der Angeklagte am Strafgerichtshof eingetroffen ist, wird er im Rahmen der ersten Anhörung (Initial Appearance) über die gegen ihn vorliegende Anklage aufgeklärt und in weiterer Folge ein Verhandlungstermin festgelegt. Der Angeklagte kann nach Rule 65 RPE einen Antrag auf vorübergehende Haftentlassung bis zum Beginn des eigentlichen Prozesses stellen.
Die Verhandlungen sind grundsätzlich öffentlich, jedoch ist unter Artikel 22 des Statuts die Möglichkeit von Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit zum Schutz der Identität von Opfern und Zeugen vorgesehen. Die Urteile des ICTY werden von den Richtern mit Stimmenmehrheit gefällt und in einer öffentlichen Sitzung verlesen. Den Urteilen liegt eine schriftliche Urteilsbegründung bei, welcher Darstellungen persönlicher Ansichten oder abweichender Meinungen der Richter angefügt sein können. Die durch das ICTY auferlegten Freiheitsstrafen orientieren sich im Strafmaß laut Statut grundsätzlich an der Praxis der Gerichte im ehemaligen Jugoslawien.

Die Berufungskammer entscheidet gegebenenfalls über Berufungsanträge, die durch den Angeklagten oder die Anklage gestellt werden und kann die Urteile der Strafkammern bestätigen, abändern oder aufheben. Sollte eine Haftstrafe verhängt werden, verbüßen die Verurteilten diese in einem der 15 europäischen Staaten, welche sich vor dem Sicherheitsrat bereit erklärt haben, vom ICTY Verurteilte zu übernehmen.

siehe:
Statut des ICTY
Rules of Procedure and Evidence (rev. 42, 04.11.2008)
Agreements on the Enforcement of Sentences