Das Büro des Chefanklägers reichte am 22. September 2008 endlich den lange erwarteten Antrag auf Änderung der aktuellen Anklage ein, welchem auch die überarbeiten Anklageschrift beiliegt. In der neuen Anklage wurden die Anschuldigungen gegen Karadžić aktualisiert und konkretisiert, die Bandbreite der behandelten Ereignisse signifikant eingeschränkt und damit auch die Anzahl der bosnisch-herzegovinischen Gemeinden, welche in den Anklagepunkten behandelt werden, von 41 auf 27 (ohne Sarajevo und Srebrenica, welche jeweils eigene Punkte darstellen) verringert. Die Anklage wurde neu strukturiert und einzelne Ereignissen anders charakterisiert, wobei lediglich die schwersten Verbrechen beibehalten wurden. Dementsprechend werden Karadžić in allen 27 jetzt noch erwähnten Gemeinden Tötungen und Ausrottung vorgeworfen, in 13 davon darüber hinaus auch Ermordungen. 14 der insgesamt 15 Ereignisse, welche letzteren Anklagepunkt stützen, wurden bereits in anderen Verfahren behandelt, sodass die dort bereits etablierten Fakten in den Prozess miteinbezogen werden können.
Die überarbeitete Anklage ist somit präziser und enger gefasst als die bisher gültige, wodurch die Anklagevertreter auch zur Ermöglichung eines effizienten und schnellen Verfahrens beitragen wollen. Es darf bezweifelt werden, dass Radovan Karadžić diese Rechtfertigung der neuen Anklageschrift ebenfalls positiv bewerten wird. Die Anklage ist diesbezüglich weiters der Ansicht, dass die durch die Hinzufügung zusätzlicher Anklagepunkte entstehende Verzögerung im Ablauf des Prozesses durch die insgesamt effizientere Anklage mehr als wettgemacht werden könne.
Wie die Anklage aus dem Jahr 2000 umfasst auch die nun eingereichte insgesamt elf Anklagepunkte, wobei ebenfalls alle Vorwürfe unter Art. 7(1) und 7(3) des Statuts erhoben werden. Sie enthält zwei neue Punkte, darunter einen zusätzlichen Anklagepunkt wegen Völkermord. Dabei handelt es sich jedoch lediglich um eine Aufteilung des bereits in der aktuellen Anklage enthaltenen Anklagepunktes; der zusätzliche Anklagepunkt enthält somit keine völlig neuen Vorwürfe. Außerdem wurde ein Anklagepunkt wegen unrechtmäßiger Angriffe gegen Zivilisten hinzugefügt. Der Anklagepunkt wegen Beihilfe zum Völkermord, welcher in Anklagen, die den Vorwurf des Völkermordes enthalten, häufig als "Rückversicherung" für den Fall, die direkte Beteiligung nicht nachweisen zu können, eingefügt wird, wurde entfernt; ebenso die Anklage auf Grund "Schwerer Verletzungen der Genfer Abkommen von 1949" nach Artikel 2 des Statuts, wodurch die Notwendigkeit seitens der Anklage, das Vorliegen eines internationalen Konflikts im Fall des Krieges in Bosnien und Herzegovina nachzuweisen, wegfällt.
Insgesamt wird in folgenden Punkten Anklage erhoben:
1. Völkermord (31.03.1992 - 31.12.1992 in 10 Gemeinden (1)
2. Völkermord (einige Tage vor dem 11.07.1995 - 01.11.1995 im Gebiet um Srebrenica)
3. Verfolgung aus politischen, rassischen und religiösen Gründen (Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Art. 5 des Statuts)
4. Ausrottung (wie 3.)
5. Mord (wie 3.)
6. Mord (Verstoß gegen die Gesetze oder Gebräuche des Krieges, Art. 3)
7. Deportation (Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Art. 5)
8. unmenschliche Handlungen (zwangsweise Überführung) (Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Art. 5)
9. gewalttätige Handlungen (Beschuss von Sarajevo zwischen April 1992 und November 1995; Verstoß gegen die Gesetze oder Gebräuche des Krieges, Art. 3)
10. unrechtmäßige Attacken gegen Zivilisten (wie 9.)
11. Geiselnahme (Festhalten von mehr als 200 Angehörigen der UN-Friedenstruppen im Mai und Juni 1995; Verstoß gegen die Gesetze oder Gebräuche des Krieges, Art. 3)
Die neue Anklage konkretisiert, mit welchen Personen Karadžić an Planung und Ausführung der verübten Verbrechen arbeitete und unterscheidet dieser neuen Präzisierung zufolge insgesamt vier verschiedene "gemeinschaftliche kriminelle Unternehmungen" (Joint Criminal Enterprise, JCE), an denen Karadžić zu unterschiedlichen Zeiten jeweils beteiligt gewesen sei. Dabei handelt es sich um die Verbreitung von Terror unter der Zivilbevölkerung durch die Angriffe auf Sarajevo, die Vernichtung der bosniakischen Einwohner Srebrenicas, und die Geiselnahme von UN-Personal, sowie ein weiteres, sämtliche Vorwürfe innerhalb der Anklageschrift umfassendes, überspannendes JCE, welches die dauerhafte Entfernung der bosniakischen und bosnisch-kroatischen Bevölkerung zum Ziel hatte. Die neue Anklageschrift macht dabei wesentlich deutlicher, welche Verbrechen Karadžić anzulasten sind und inwieweit er an deren Ausführung konkret beteiligt war. Ratko Mladić wird als weitere Schlüsselfigur jeder dieser Unternehmungen zugerechnet.
Außerdem wurde die Beweisbasis deutlich ausgebaut. So listet die neue Anklage insgesamt 86 bosnisch-serbische Internierungslager (aktuelle Anklage: 21) auf, die als Basis der entsprechenden Vorwürfe dienen. In Hinblick auf die Geschehnisse in Srebrenica im Juli 2008 werden 22 Fälle von Ermordungen von Zivilisten (aktuelle Anklage: 11) an 15 verschiedenen Orten dargestellt.
(1) Bratunac, Brčko, Foča, Kljuć, Kotor Varoš, Prijedor, Sanski Most, Višegrad, Vlasenica und Zvornik
siehe:
Motion to Amend the First Amended Indictment (22.09.2008) (Antragstext, tabellarische Aufstellung der Änderungen und überarbeitete Anklageschrift mit Anhängen)