23.09.2008

Erste Status Conference

Entsprechend Rule 65bis der RPE muss binnen 120 Tagen nach der Initial Appearance eine Statuskonferenz unter Teilnahme aller beteiligten Prozessparteien stattfinden, welche Gelegenheit bietet, den aktuellen Stand des Prozesses zu überprüfen und die Zusammenarbeit zwischen den Parteien zu beschleunigen, sowie insbesondere dem Angeklagten die Möglichkeit gibt, offene Fragen aufzuwerfen. Die während der Further Initial Appearance anberaumte Status Conference im Fall Karadžić wurde am 17. September 2008 abgehalten. Pre-trial-Richter Bonomy hatte sich "auf Grund des Ausmaßes an Ungewissheit, das den Fortgang dieses Verfahrens umgibt" für diesen vergleichsweise frühen Zeitpunkt entschieden.

Radovan Karadžić erschien wiederum allein (wenn auch wie gewohnt in Begleitung seiner "unsichtbaren Berater") vor Gericht und bekräftigte erneut, dies voraussichtlich während des gesamten Verfahrens beibehalten zu wollen. Er habe jedoch vor, ein Team von Mitarbeitern zu seiner Unterstützung zusammenzustellen, sofern ihm die Registry dabei behilflich ist - sollte dies nicht zu seiner Zufriedenheit möglich sein, wolle er hingegen ohne jede weitere Mithilfe vor Gericht treten, da er nicht zulassen könne, dass andernfalls im Rahmen eines so bedeutenden Prozesses wie des seinen ("you've never had a trial like this and never will have") durch die Anwesenheit von für ihn nicht annehmbaren Helfern ein ungerechtfertigter Anschein von Fairness erweckt werde.
Richter Bonomy versuchte erneut, Karadžić von den Nachteilen der Entscheidung, sich selbst zu vertreten, zu überzeugen, und appellierte an den Angeklagten, diese Entscheidung in den nächsten Wochen zu überdenken.

Während der Status Conference wurde unter anderem Karadžićs Beschwerde, dass ihm die Verhandlungsprotokolle für seinen Prozess relevanter früherer Verfahren nur auf englisch zur Verfügung gestellt würden, behandelt. Die Registry hatte auf diese mit dem Angebot, ihm Audioaufnahmen in b/k/s (eine Betitelung, die er als "bastardisierte Sprache" bezeichnete und die ihn zu einer längeren Tirade über die Rechte des serbischen Volkes auf seine serbische Sprache hinriss) zur Verfügung zu stellen, reagiert, was Karadžić jedoch wegen des vergleichsweise deutlich größeren Zeitaufwands bei der Auswertung ablehnt.
Die diesbezügliche Praxis wird sich in weiterer Folge auch auf die Sprache, in welcher Karadžić die Materialien der Anklage zur Verfügung gestellt werden müssen, auswirken - in bisheriger Ermangelung einer Entscheidung der Strafkammer erhält Karadžić diese Unterlagen vorerst mit leichter Verzögerung gegenüber der englischen Version auch in b/k/s. Richter Bonomy kündigte den entsprechenden Bescheid für die laufende Woche an.

Noch etwas länger werde ihm zufolge hingegen die Entscheidungsfindung in Hinblick auf Karadžićs Eingaben wegen angeblicher Immunitätsvereinbarungen mit Richard Holbrooke dauern, mit denen sich die Kammer derzeit auseinandersetzt. Karadžić ersuchte daraufhin, die Kammer solle in dieser Angelegenheit zunächst keine Entscheidung treffen, da er weitere Untersuchung gegen Holbrooke durchführen möchte, welche erst abgeschlossen werden könnten, wenn ihm ein Team von Mitarbeitern zur Verfügung stünde. Diese Untersuchung würde neue Beweise zutage fördern, dass Holbrooke die beschriebenen Abmachungen nicht nur im Namen der USA, sondern der gesamten Kontaktgruppe für Bosnien und Herzegovina (welcher Vertreter von vier der fünf permanenten Mitglieder des UN-Sicherheitsrats angehörten) getroffen habe. Weiters könne Karadžić unwiderlegbar nachweisen, dass die NATO versucht habe, ihn zu ermorden. Richter Bonomy sagte zu, seine Kollegen Robinson und Antonetti über Karadžićs Bitte zu unterrichten und diese gegebenenfalls zu berücksichtigen.

Karadžić führte weiters seine Probleme mit den durch die Anklage entsprechend Rule 66(A) der RPE an ihn übergebenen Materialien aus. Neben technischen Schwierigkeiten mit den elektronisch zur Verfügung gestellten Unterlagen, ergäben sich diese vor allem aus der Fülle der vorhandenen Daten und der zwangsläufigen Unklarheit, inwieweit einzelne Aspekte dieser zur Untermauerung der jetzigen Anklage eingereichten Dokumente, überhaupt für die aktualisierte Anklage relevant sein werden. Bisher hat Karadžić noch keinerlei Beweismittel oder Zeugenaussagen erhalten, die nach Erstellung der Anklage im Jahr 2000 erhoben wurden.
Karadžićs Frage hinsichtlich der aktualisierten Anklageschrift kam Bonomy, der seine diesbezügliche Unzufriedenheit durch einige beißende Aussagen in Richtung der Anklagevertreter verdeutlichte, zuvor: die Frage, "wo um Himmels Willen" die neue Anklage sei, auf die "jeder mit angehaltenem Atem warte", wolle er gerne selbst stellen. Der Vertreter der Anklage, Alan Tieger, gab an, die neue Anklageschrift würde aller Voraussicht nach bis Montag dieser Woche (22. September 2008) eingereicht werden. Richter Bonomy versicherte dem Angeklagten, dass er dessen Unmut angesichts der langen Zeitspanne bis zur Herausgabe der Anklage völlig nachvollziehen könne und betonte mehrfach, dass "jede Verzögerung bei der Erstellung der Anklage hinsichtlich der Frage, ob diese durch das Gericht zugelassen werden soll, mitberücksichtigt werden würde." Er klärte Karadžić neuerlich über dessen Rechte und die erforderlichen prozeduralen Schritte im Fall der Erhebung erweiterter oder maßgeblich veränderter Anklagepunkte auf, welche bedingen würden, dass Karadžić sich erneut schuldig oder nicht schuldig bekennen muss bzw. in Richter Bonomy's Worten "erneut das Vergnügen hätte, von mir für nicht schuldig erklärt zu werden", sofern er sich wie in Hinblick auf die jetzige Anklage weigere, selbst auf die Anklage zu antworten.
Karadžić zeigte sich höchst unzufrieden damit, dass er im Fall einer unveränderten bzw. nur in formellen Aspekten überarbeiteten Anklage nicht die Möglichkeit bekäme, diese erneut zu studieren und zu beantworten - angeblich habe er bisher bewusst keine Mühe an die aktuelle Anklageschrift verschwendet, nachdem diese ohnehin ersetzt würde und er Richter Orie während der Initial Appearance so verstanden habe, dass er in jedem Fall erneut genug Zeit bekäme, sich mit den Vorwürfen vertraut zu machen. Richter Bonomy vertagte alle diesbezüglichen Spekulationen und Entscheidungen bis nach Herausgabe des Antrags auf Abänderung der Anklage.

In Bezug auf die am selben Tag gestellte Anfrage Karadžićs an den Präsidenten des ICTY, Fausto Pocar, betreffend die Umstände der Zuteilung seines Verfahrens an Trial Chamber I, sowie die darauf folgende Verlegung an Trial Chamber III, erklärte Bonomy sich und seine Kammer für nicht zuständig. Angesichts der durch Richter Pocar am 21. August 2008 gegebenen Begründung für die Neuzuteilung hatte Karadžić Besorgnis wegen eines möglichen Austauschs von Informationen zwischen Anklage und Präsidenten, welcher scheinbar nach seiner Verhaftung und hinter seinem Rücken stattgefunden habe, geäußert. Karadžić hatte in seiner Eingabe angekündigt, abhängig von der diesbezüglichen Erklärung und Rechtfertigung des Präsidenten möglicherweise dessen Ausschluss von jeglichen Angelegenheiten betreffend sein Verfahren beantragen zu wollen.

Mehrfach wies Karadžić darauf hin, dass die Anklage das Verfahren seiner Meinung nach in unzulässiger und die Fairness des Prozesses gefährdender Weise beschleunigen wolle, stattdessen jedoch lieber ihre eigene Arbeit - insbesondere in Hinblick auf die Herausgabe der überarbeiteten Anklageschrift - beschleunigen, und dabei die korrekten Vorgangsweisen beachten solle. Er werde nicht zulassen, dass sein Prozess überhastet geführt werde und lehne weiters die "regelmäßigen Aussagen" seitens der Anklage, dass "das Verfahren so schnell wie möglich durchgeführt" werden solle, ab, da dies nicht zuletzt in der Öffentlichkeit das Bild erwecke, es sei "bereits alles entschieden".

Innerhalb der nächsten 120 Tage ist gemäß Rule 65bis eine neuerliche Statuskonferenz abzuhalten; der Termin wurde noch nicht festgesetzt, da Richter Bonomy zunächst den Inhalt der abgeänderten Anklageschrift abwarten wolle.

Transcript

siehe:

Ex Parte Communications with Office of the Prosecutor (16.09.2008)