21.11.2008

Zeugenaussage Karadžićs im Verfahren gegen Krajišnik

Am 05. November 2008 war Karadžić zu einer Anhörung im Berufungsverfahren gegen Momčilo Krajišnik (IT-00-39) als Zeuge unter Rule 115 der RPE vorgeladen. Diese regelt die Zulassung zusätzlicher Beweismittel, welche bei Beginn des Verfahrens nicht verfügbar waren, ins laufende Verfahren. Karadžić brachte zuvor ein auf einem Entwurf Krajišniks basierendes schriftliches Statement ein und wurde im Lauf der Anhörung zunächst gebeten, zu bestätigen, dass dieses auch den Erklärungen entspricht, welche er im Fall einer Einvernahme im Verfahren abgeben würde. Karadžić wurde durch seinen Rechtsbeistand Peter Robinson begleitet, welcher ihn zumindest dem schriftlichen Protokoll zufolge als "Präsident Karadžić" (S 515, Z 16) bezeichnete, ohne damit den Widerspruch der Richter zu erregen.

Nach der Vereidigung Karadžićs folgte zunächst das Kreuzverhör durch Alan Tieger als Vertreter der Anklage. Bereits dessen erste Frage ("In Ihrem Statement ist festgehalten, dass die bosnisch-serbische Führung keine Politik der ethnischen Trennung verfolgte. Nachdem im Verlauf des Verfahrens eine Vielzahl von Beweisen für verübte Verbrechen gegen bosnische Muslime und Kroaten präsentiert wurde, möchte ich wissen, ob Sie diese Verbrechen bestreiten; anerkennen, dass diese stattfanden, oder behaupten, darüber nichts zu wissen?") löste einen Einspruch von Robinson aus, welcher darauf hinwies, dass Karadžić lediglich in Bezug auf sein Statement und die darin dargestellte Rolle Krajišniks zu befragen sei, während Fragen wie diese Angelegenheiten berührten, die erst in seinem eigenen Verfahren zu klären seien. Nach kurzer Beratung enthob die Berufungskammer Karadžić von der Verpflichtung, die Frage zu beantworten. Im weiteren Verlauf der Anhörung wurde Karadžić noch mehrfach nach ähnlich begründeten Einsprüchen von der Beantwortung einzelner Fragen entbunden, worauf die Anklage mit der Aussage, dem Zeugen solle nicht gestattet werden, dem Gericht ein Statement vorzulegen und sich dann jedem Versuch der Überprüfung von dessen Glaubwürdigkeit durch den Verweis auf eine mögliche Selbstbelastung zu entziehen, reagierte. Umgekehrt warf Robinson der Anklagevertretung vor, aus den an den Zeugen gerichteten Fragen lediglich Nutzen für das Verfahren gegen ebendiesen ziehen zu wollen. Generell kam das Kreuzverhör nur sehr schleppend in Gang; abgesehen von regelmäßigen Diskussionen zwischen Tieger, Robinson und dem Gericht ist dies vor allem auf die häufig weit ausholenden Antworten Karadžićs zurückzuführen, welche von der Anklage angesichts der begrenzten für das Kreuzverhör zuerkannten Zeit mehrfach beanstandet wurden.

Die Befragung beschäftigte sich insbesondere mit Fragen der Implementierung eines mutmaßlich durch die bosnisch-serbische Führung entworfenen Strategiepapiers, welches zwei Varianten zur Sicherstellung der serbischen Vormachtstellung in A) mehrheitlich von Serben bewohnten und B) durch eine serbische Minderheit bewohnten Gebieten in BiH umfasste. Karadžić stellte dieses als Expertenpapier einzelner Generäle dar, welches lediglich völlig unverbindlich an die Vertreter der Gemeinden weitergeleitet worden wäre. Ebenso wurden auch sechs schriftlich festgehaltene Kriegsziele der bosnisch-serbischen Seite, welche vor allem Fragen der Grenzziehung umfassen, abgetan.

Weiters bestritt Karadžić ausdauernd, dass Krajišnik überhaupt ein Mitglied des Präsidiums der SDS (Srpska Demokratska Stranka) oder der Republika Srpska gewesen sei; darauf hindeutende Unterlagen würden sich lediglich aus fehlerhaften Notizen schlecht informierter Schreibkräfte ergeben, die bei einzelnen Zusammenkünften von Gremien angefertigt wurden. Die Existenz eines Kriegspräsidiums ("wartime presidency") stellte Karadžić in Abrede - nachdem es sich bei den Auseinandersetzungen in BiH nicht um einen (formell erklärten und internationalen) Krieg, sondern lediglich um einen "tragischen Konflikt" gehandelt habe, hätte auch keine Notwendigkeit bestanden, das erweitere Präsidium aus insgesamt fünf Mitgliedern ins Leben zu rufen, welches im Kriegsfall verfassungsgemäß sämtliche Regierungsaufgaben zu übernehmen gehabt hätte. Karadžić führte die diversen derartigen "Missverständnisse" nicht zuletzt auf Probleme auf Grund der doppelten Übersetzung der vorliegenden Unterlagen zurück: durch die Übersetzung aus dem serbischen Original ins Englische und dann zur Vorlage an den Angeklagten und die Zeugen im Rahmen des Prozesses erneut auf serbisch hätten sich Ungenauigkeiten eingeschlichen, die den Sinn einzelner Aussagen oder Dokumente verzerren würden.

Nach dem Kreuzverhör wurde Karadžić durch die fünf Richter der Berufungskammer zu einzelnen, im Kreuzverhör unklar gebliebenen Aspekten befragt, bevor die Verteidigung die Möglichkeit erhielt, ihn erneut - jedoch ausschließlich in Hinblick auf durch die Anklage im Kreuzverhör angesprochene Bereiche - zu befragen. Wie Karadžić verteidigt sich auch Krajišnik selbst; er wird lediglich hinsichtlich Fragen in Zusammenhang mit dem Tatvorwurf der Teilnahme an der "gemeinschaftlichen kriminellen Unternehmung" (Joint Criminal Enterprise; JCE - im breiten Sinne die mutmaßlich gemeinschaftlich durch die bosnisch-serbische Führungselite geplante, befohlene und durchgeführte ethnischen Säuberung der von Serben bewohnten Gebiete Bosnien und Herzegovinas) von zwei Rechtsbeiständen unterstützt. Während die Befragung durch den Angeklagten selbst sehr kurz blieb, befasste sich sein Rechtsbeistand dementsprechend mit der Frage, inwieweit überhaupt ein JCE vorgelegen habe bzw. wenn ja, ob Krajišnik an diesem in irgendeiner Weise beteiligt gewesen sei.

Insgesamt wurde mehr als deutlich, dass die Zeugenbefragung eines selbst vor Gericht Angeklagten eine sehr schwierige Situation darstellt, da die Überschneidung zwischen den beiden Prozessen, welche ja überhaupt erst den Grund für die Vorladung darstellt, auch dazu führt, dass nahezu jede Nachfrage zwangsläufig auch unmittelbare Relevanz für Karadžićs eigenes Verfahren aufweist. Inwieweit die in der Befragung und durch das vorgelegte Statement gewonnenen Aussagen tatsächliche Relevanz für das weitere Verfahren gegen Krajišnik aufweisen werden, bleibt abzuwarten.

Transcript

siehe:

IT-00-39 Case Information Sheet