27.11.2008

unzureichende Entlohnung von Juristen im Team der Verteidigung

Am 25. November 2008 brachte Radovan Karadžić einen Antrag an die Strafkammer ein, in welchem er diese auffordert, die Registry anzuweisen, ihre Praxis in Hinblick auf die Zuerkennung von durch das Tribunal finanzierten Rechtsbeiständen an sich selbst verteidigende Angeklagte zu überdenken. Hintergrund dieses Antrags ist die durch Karadžić bereits einmal geäußerte Unzufriedenheit mit der Anzahl der ihm zugestandenen Berater, sowie insbesondere deren unzureichender Bezahlung. Während durch Anwälte repräsentierte Angeklagte, deren eigene Mittel nicht zur Finanzierung ihrer Verteidigung ausreichen, Anrecht auf einen leitenden Anwalt (Entlohnung nach dem Gehaltsschema des ICTY mit 97€/h), sowie diesen unterstützende Co-Anwälte und Rechtsberater (71€/h) und zusätzliche Mitarbeiter haben, sieht das Statut des ICTY gemäß früheren richterlichen Entscheidungen für sich selbst repräsentierende Angeklagte lediglich die Bereitstellung von angemessenen Hilfsmitteln ("adequate facilities") für ihre Verteidigung vor, worunter jedoch nach gängiger Praxis auch juristische Berater verstanden werden. Nachdem die Tätigkeit des leitenden Anwalts hier definitionsgemäß durch den Angeklagten selbst erfolgt, sieht die Registry allerdings eine Entlohnung von zusätzlichem Personal mit maximal 25€/h vor.

Karadžić argumentiert durchaus nachvollziehbar, dass dadurch eine umfassende Vorbereitung seiner Verteidigung und damit die Wahrung seines Rechts auf ein faires Verfahren unmöglich gemacht werde, da er angesichts des außergewöhnlichen faktischen und rechtlichen Umfangs seines Falles auf Unterstützung durch mehrere erfahrene Rechtsexperten angewiesen sei. Tatsächlich habe auch die Strafkammer selbst ihn gedrängt, sich entsprechende Unterstützung durch mehrere Anwälte, welche gemeinsam über umfassende Erfahrung sowohl im Common als auch Civil Law verfügen würden, zu holen. Er fordert die Entlohnung der ihm zur Seite gestellten Mitarbeiter als Co-Anwälte - was auch durchaus mit der Auffassung übereinstimmen würde, dass er selbst die Rolle des leitenden Anwalts einnimmt. Der dem Antrag als Anhang beigefügte vorhergehende Schriftverkehr zwischen dem Angeklagten und der Registry enthält unter anderem auch ein Schreiben Peter Robinsons, in welchem dieser in aller Deutlichkeit die Unangemessenheit seiner Entlohnung anspricht. Tatsächlich erscheint es lächerlich, einen abgesehen von seiner umfangreichen Erfahrung vor nationalen Gerichten seit Jahren sowohl vor dem ICTY, als auch dem ICTR und dem Special Court for Sierra Leone tätigen Experten des internationalen Strafrechts mit dem für eine gerade erst aus der Ausbildung entlassene juristische Hilfskraft üblichen Gehalt verpflichten zu wollen. Karadzićs Einschätzung nach degradiert diese Vorgangsweise das Recht auf Selbstrepräsentation eines Angeklagten, welches durch die Berufungskammer im Fall Šešelj (IT-03-67) als "unumstößlicher Eckpfeiler der Gerechtigkeit" bezeichnet wurde, zu einer reinen Farce, da sie letztendlich nicht effektiv erfolgen kann. Er sei entschlossen, sich in der Pre-Trial-Phase definitiv selbst vor Gericht zu vertreten, daher solle seine Entscheidung respektiert und angemessen unterstützt werden, anstatt ihn "mit mit Zuckerbrot und Peitsche dazu zu verlocken, sich einen Anwalt zu nehmen" (ersteres spielt auf das in einem Schreiben der Registry geäußerte Bedauern darüber, dass Karadžić sich trotz der damit verbundenen Nachteile nicht für die Repräsentation durch einen Rechtsvertreter entschieden habe, an) Im Lauf des eigentlichen Verfahrens möchte er sich dann jedoch seinen Ausführungen zufolge scheinbar durchaus von Zeit zu Zeit - sofern durch die Strafkammer gestattet - durch einen seiner Rechtsbeistände vertreten lassen.
Ebenso durchaus schlüssig erscheint Karadžićs Hinweis, dass die beispielsweise im Fall Milošević (IT-02-54) hinzugezogenen drei amici curiae, welche grundsätzlich für die Beratung der Strafkammer hinsichtlich der Sicherstellung der Rechte des Angeklagten (welcher ja jede Form rechtlichen Beistands ablehnte) zuständig waren, sehr wohl adäquat entlohnt wurden - unter diesem Blickwinkel wäre es widersinnig, für Personal, welches dieselbe Rolle direkt im Auftrag des Angeklagten wahrnimmt, nicht die gleichen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen.

Durch die Registry wurden Karadžić bisher zwei der drei von ihm beantragten Rechtsbeistände zuerkannt (der US-Amerikaner Peter Robinson, sowie der serbische Jurist Milivoje Ivanišević); Goran Petronijević, welcher bereits nach Karadžićs Verhaftung im Juli 2008 als dessen Anwalt aufgetreten war, wird derzeit noch hinsichtlich seiner Eignung für eine Tätigkeit vor dem ICTY überprüft. Hintergrund dieser Überprüfung ist ein international scharf kritisiertes und später durch den serbischen Obersten Gerichtshof aufgehobenes Urteil, welches Petronijević im Mai 2000 als Richter in einem Verfahren gegen albanische Zivilisten aus dem Kosovo fällte. Dabei wurden 143 Personen auf Grund ihrer angeblichen Beteiligung an terroristischen Aktionen zu Freiheitsstrafen bis zu 13 Jahren verurteilt. Petronijević war auf Grund seiner Rolle in diesem Prozess bereits zuvor als Anwalt in einem Verfahren vor dem ICTY durch die Registry abgelehnt worden. Karadžić bezeichnet dies als "Beleidigung" und besteht auf Petronijevićs sofortiger Verpflichtung. Insgesamt beansprucht er acht Mitarbeiter; darunter drei Rechtsberater, welche entsprechend dem Gehaltsschema als Co-Anwälte entlohnt werden sollen (laut seiner Auflistung "ein Anwalt mit Erfahrung im Common Law und vor den Internationalen Gerichten" - Robinson; "einer mit Erfahrung im Civil Law, der das Team koordiniert und die faktische Verteidigung leitet" - vermutlich Petronijević, sowie "einer mit ausschließlicher Zuständigkeit für die Ereignisse in Srebrenica" - angesichts seiner umfangreichen Erfahrung im kategorischen Bestreiten des Massakers vom Juli 1995 und der Verleumdung auftretender Zeugen höchstwahrscheinlich Ivanišević), sowie mindestens fünf Personen als zusätzliches Personal.
Die Registry sieht diesbezüglich ein Entgegenkommen hinsichtlich der maximal zur Verfügung gestellten Anzahl von Mitarbeitern (normalerweise fünf) bzw. der diesen zuerkannten Arbeitsstunden (standardgemäß max. 3000 Stunden für die gesamte Pre-Trial-Phase) als möglich an, nicht jedoch in Hinblick auf deren Entlohnung.

Wie Karadžić selbst anführt, wurde bisher keine Entscheidung über das grundlegende Vorgehen der Registry in derartigen Fällen notwendig. Er betrachtet diese als richtungsweisend und grundlegend für die Sicherstellung der durch das Tribunal an sich selbst gestellten Forderung, den höchstmöglichen Ansprüchen der Rechtssprechung gerecht zu werden. Angesichts der Bedeutung, die sein Verfahren nicht nur für ihn persönlich, sondern auch als zukünftiger Präzedenzfall für Verfahren wegen Kriegsverbrechen aufweise, dürfe die Gerechtigkeit nicht durch ein derartiges Ungleichgewicht zwischen Verteidigung und Anklage gefährdet werden.

Die Strafkammer strebt offensichtlich eine schnelle Entscheidung in dieser grundlegenden Frage an und wies die Anklagevertreter an, ihre Antwort auf Karadžićs Antrag innerhalb von sieben Tagen, d.h. bis spätestens 2. Dezember 2008 einzureichen. Die Registry ist aufgefordert, eventuelle ergänzende Eingaben ebenfalls innerhalb dieser Zeitspanne zu tätigen. Diese Halbierung der standardmäßig in Rule 126bis der RPE vorgesehenen Frist von zwei Wochen zielt auf eine Beschleunigung des Verfahrens, welches bisher ohnehin äußerst schleppend anläuft.

Am 01. Dezember 2008 erklärte die Anklage, diesbezüglich keinen eigenen Standpunkt einbringen zu wollen.

siehe:

Prosecution's response to Karadžić's motion for adequate facilities and equality of arms (01.12.2008)
Scheduling order for expedited responses to accused's motion for adequate facilities and equality of arms: legal associates (26.11.2008)
Motion for adequate facilities and equality of arms: legal associates (24.11.2008)