06.04.2009

Reaktionen bez. Anerkennung von Adjudicated Facts

In Antwort auf den ersten Antrag der Anklagevertretung auf Anerkennung bereits gerichtlich festgestellter Fakten ("adjudicated facts") vom 27. Oktober 2008 tätigte Radovan Karadžić am 16. März 2009 eine Eingabe, in welcher er die Anerkennung der darin aufgelisteten Fakten vehement ablehnt.

Generell dient die Anerkennung von Sachverhalten, welche bereits Gegenstand früherer Verfahren waren, vor allem der Verkürzung des Verfahrens, sowie dessen Konzentration auf die wesentlichsten und entscheidendsten Punkte. Sofern die Strafkammer die diesbezüglich durch die Anklagevertretung eingebrachten Dokumente annimmt, müssen die darin aufgeführten Fakten durch die Anklage im Rahmen des Prozesses gegen Radovan Karadžić nur dann bewiesen werden, wenn der Angeklagte sie zuvor glaubhaft widerlegt. Die Beweislast wird somit in begrenztem Ausmaß von der Anklage zum Angeklagten verschoben. Karadžić fasst dies als Verletzung seiner Rechte auf ein faires Verfahren und die Anhörung der gegen ihn aufgerufenen Zeugen, sowie die geltende Unschuldsvermutung auf; nicht zuletzt, da er bezweifelt, dass ihm im Rahmen der Verfahrensvorbereitung tatsächlich die realistische Möglichkeit gegeben wird, Argumente für eine Widerlegung aller 1735 Fakten, welche durch die Anklage bisher im Rahmen des ersten, sowie eines weiteren derartigen Antrag vom 16. März 2009, eingereicht wurden, zusammenzustellen - wobei in Zukunft vermutlich noch eine größere Anzahl hinzukommen wird.

Sollte ihm dafür tatsächlich ausreichend Zeit zugestanden werden, befürchtet Karadžić eine massive Verzögerung des Verfahrens, welche die Zeitersparnis durch die Anerkennung bereits festgestellter Fakten mehr als aufwiegt und damit letztendlich zur Ineffizienz des Verfahrens beiträgt. Karadžić beruft sich dabei auf eine Entscheidung der Strafkammer im Verfahren gegen Slobodan Milošević (IT-02-54), welche festgehalten habe, dass die Anerkennung einer großen Anzahl von Fakten dem Angeklagten eine unzumutbare Bürde auferlege. Somit fordert Karadžić für den Fall, dass sich die Strafkammer dazu entschließt, die Anerkennung von Fakten grundsätzlich durchzuführen, zumindest eine Beschränkung von deren Anzahl und Umfang.

Im Anhang seiner Eingabe listet Karadžić die jeweiligen Begründungen für seine Beanstandung der einzelnen Fakten auf, welche sich in mehrere Kategorien zusammenfassen lassen, darunter mangelnde Relevanz für sein Verfahren, nicht ausreichende Konkretisierung der Fakten oder Beanstandungen auf Grund des unzulässigen Vermischens von faktischen Darstellungen mit rechtlichen Umständen oder Festlegungen. Weiters bemängelt Karadžić, dass die Fakten teilweise nicht durch an ihn übergebenes Beweismaterial abgedeckt würden, was ihm deren genaues Nachvollziehen, sowie die Widerlegung wesentlich erschwert.

Die Anklagevertretung ersuchte am 02. April 2009 um Erlaubnis, sich zur Eingabe des Angeklagten äußern zu dürfen, welche durch die Strafkammer am darauf folgenden Tag erteilt wurde. In ihrer Antwort vom 06. April 2009 legt die Anklage dar, dass der Angeklagte die Anforderungen einer Anerkennung gerichtlich bereits festgelegter Fakten ihrer Sichtweise zufolge in manchen Aspekten falsch interpretiere, nachdem beispielsweise entsprechend der Praxis des ICTY keineswegs erforderlich sei, die Fakten durch dem Angeklagten verfügbare Unterlagen zu untermauern. Ebenso wird Karadžićs Kritik an der Verwendung einzelner Begriffe, welcher seiner Ansicht nach eine im Rahmen von "adjudicated facts" unzulässige rechtliche Interpretation darstellen, zurückgewiesen.

Die Anklage ist jedoch bereit, drei der im Rahmen ihres ersten Antrages gelisteten Fakten zurückzuziehen, nachdem diese, wie durch Karadžić kritisiert, auf Abmachungen zwischen der Anklagevertretung und dem Angeklagten im Prozess gegen Stanislav Galić (IT-98-29) basieren. Darüber hinaus werden weitere Fakten vor allem hinsichtlich der Referenzen in anderen Verfahren korrigiert bzw. in zwei Fällen auch gestrichen. Die Strafkammer wird ersucht, diese korrigierte Version der ersten Aufstellung von gerichtlich bereits festgelegten Fakten zu akzeptieren.

Am 06. April 2009 veröffentlichte die Anklagevertretung eine dritte Auflistung von insgesamt 496 gerichtlich bereits anerkannten Fakten in Zusammenhang mit den Ereignissen in Srebrenica im Sommer 1995, deren Anerkennung für den Prozess gegen Karadžić sie beantragt.

siehe:

Third prosecution motion for judicial notice of adjudicated facts (06.04.2009)
Prosecution reply to the ''response to first prosecution motion for judicial notice of adjudicated facts" and further corrigendum to first prosecution motion for judicial notice of adjudicated facts (06.04.2009)
Accused's response to first prosecution motion for judicial notice of adjudicated facts (30.03.2009)