In seiner achten "preliminary motion" vom 30. März 2009 erhebt Radovan Karadžić die Forderung nach einer Abänderung von Absatz 35 der Anklageschrift. Im Wortlaut:
"Radovan Karadžić failed to take the necessary and reasonable
measures to prevent the commission of crimes by members of the Bosnian
Serb Forces and/or Bosnian Serb Political and Governmental Organs
and/or to punish the perpetrators thereof. The term “committed”, as used
in the context of Article 7(3) of the Statute, includes all modes of liability
covered by Articles 7(1) and 7(3) of the Statute. (...)"
Er beeinsprucht dabei die Tatsache, dass durch die zweite Erwähnung von Artikel 7(3) des Statuts im zweiten Satz, ein im internationalen Recht und der bisherigen Rechtssprechung des ICTY nicht vorgesehenes Ausmaß an Verantwortlichkeit als Vorgesetzter möglich werde. Indem der Begriff "begangen" im Kontext von Artikel 7(3) auch Taten umfasst, welche wiederum basierend auf Artikel 7(3) nachgewiesen werden, entsteht nach Karadžićs Auffassung eine nicht zulässige mehrstufige "Vorgesetztenverantwortlichkeit" ("multiple superior responsibility"). Diese läuft letztendlich darauf hinaus, dass er für Taten und Versäumnisse seiner direkten Untergebenen, welche nach Artikel 7(3) bestraft werden können, wiederum entsprechend Artikel 7(3) zur Verantwortung gezogen werden kann. Ein Angeklagter könnte somit für sein Versäumnis, einen ihm Untergebenen dafür zu bestrafen, dass jener es verabsäumt hat, die unmittelbar für eine Tat Verantwortlichen zu bestrafen, belangt werden. Hier verweist Karadžić auch auf seine vorangegangene "preliminary motion" vom 25. März 2009, welche sich ebenfalls mit der Herstellung von Verantwortlichkeit durch Unterlassung befasst.
Karadžić zufolge ist diese mehrstufige Herstellung von Verantwortung nach Artikel 7(3) keineswegs zulässig, nachdem hier ein Zwischenschritt über einen ihm Untergebenen, welcher wiederum als Vorgesetzter die Verantwortung für die Taten der Personen, die ein Verbrechen tatsächlich unmittelbar planten, anordneten oder begingen trägt, stattfindet. Dadurch würden die beiden Haupterfordernisse für das Vorliegen einer Verantwortlichkeit als Vorgesetzter nach Artikel 7(3) des Statuts, nämlich "effektive Kontrolle" (über den unmittelbaren Täter) und "Kenntnis" (über die Tat) nicht erfüllt. Die Anklagevertretung würde es weiters verabsäumen, eine rechtliche Basis für die diesbezüglichen Anschuldigungen nachzuweisen.
Karadžić fordert somit die Streichung der zweiten Erwähnung von Artikel 7(3) in Absatz 35 der Anklage, sodass ihm auf Grund seiner Verantwortung als Vorgesetzter lediglich direkt durch seine Untergebenen begangene Taten zur Last gelegt werden können.
Die Anklagevertretung reagierte am 09. April 2009 mit einer Eingabe auf Karadžićs "preliminary motion". Sie fordert deren Ablehnung bereits auf Grund der Tatsache, dass darin keine Frage der generellen Jurisdiktion des Tribunals gemäß Rule 72 der RPE angesprochen werde, sondern vielmehr Einsprüche hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung einer Art der Verantwortlichkeit getätigt würden, welche jedoch im Rahmen des Verfahrens zu klären seien. Sollte sich die Strafkammer trotz dieses nach Ansicht der Anklage grundlegenden Fehlers dazu entschließen, den Inhalt von Karadžićs Antrag zu beurteilen, demonstriert die Anklagevertretung in weiterer Folge mittels einer Reihe von Argumenten die Zulässigkeit einer Anklage nach Artikel 7(3) des Statuts auf Grund des Fehlverhaltens eines Untergebenen, welches ebenfalls gemäß Artikel 7(3) strafbar wäre. Mit Verweis auf diverse vorhergehende Entscheidungen der Straf- und Berufungskammer, sowie grundlegende Dokumente des Tribunals legt die Anklage dar, dass der Begriff "begehen" ("commit") innerhalb der Ausformulierung von Artikel 7(3) sehr wohl sämtliche unter dem Statut des ICTY strafbaren Handlungen - und damit selbstredend auch solche entsprechend Artikel 7(3) - umfasse. Karadžićs Befürchtung, ein Angeklagter könne dadurch für eine nahezu uneingeschränktes Ausmaß an Versäumnissen ihm unterstellter Personen zur Verantwortung gezogen werden, obwohl die "effektive Kontrolle" und "Kenntnis" über den eigentlichen Täter bzw. die Tat seiner Ansicht nach nicht gegeben sei, kontert die Anklagevertretung mit Verweis auf die klarerweise innerhalb des Verfahrens notwendige Etablierung der relevanten Kommandokette. Dass bisher durch keine der Kammern am ICTY eine eindeutige Aussage oder Entscheidung in dieser Hinsicht getätigt wurde, begründet die Anklagevertretung damit, dass dies bisher in keinem Verfahren relevant geworden wäre, keineswegs jedoch mit einer mangelnden Berechtigung der Inklusion von Verbrechen nach Artikel 7(3) in die Verantwortlichkeit eines Vorgesetzten.
Am 14. April 2009 ersuchte Radovan Karadžić die Strafkammer um Erlaubnis, neuerlich auf die Argumente der Anklage antworten zu dürfen, sowie um eine Verlängerung der ihm dafür zugestandenen Zeitspanne bis zum 23. April 2009, nachdem die Verfasserin der ursprünglichen "preliminary motion", eine niederländische Juristin, welche als Expertin auf dem Gebiet des internationalen Strafrechts, insbesondere hinsichtlich JCE, gilt, die Erwiderung auf Grund anderer Verpflichtungen nicht früher fertigstellen könne.
In der schließlich fertiggestellten Eingabe vom 21. April 2009 betont Karadžić, dass es sich hierbei sehr wohl um eine im Rahmen einer "preliminary motion" zu klärende Angelegenheit handle, nachdem die Anklagevertretung versuche, eine völlig neue und nicht durch frühere Fälle gedeckte Form der persönlichen Verantwortung herzustellen. Unter Berücksichtigung der durch die Anklage vorgebrachten Argumente legt er erneut dar, dass eine mehrfache Vorgesetztenverantwortlichkeit über Artikel 7(3) nicht durch das Statut oder die Praxis des ICTY abgedeckt sei.
siehe:
Accused's motion for leave to reply and reply brief: Preliminary motion on lack of jurisdiction: superior responsibility (21.04.2009)
Accused's motion for leave to reply and extension of time: preliminary motion on superior responsibility (14.04.2009)
Prosecution response to preliminary motion on lack of jurisdiction: superior responsibility (09.04.2009)
Accused's preliminary motion on lack of jurisdiction: superior responsibility (30.03.2009)