29.01.2009

Berufung gegen Entscheidung bezüglich Offenlegung

Vor der durch ICTY-Präsident Patrick Robinson am 26. Jänner 2009 aus den Richtern Mehmet Güney, Fausto Pocar, Liu Daqun, Theodor Meron und Richterin Andrésa Vaz zusammengesetzten Berufungskammer brachte Radovan Karadžić am 28. Jänner 2009 seine Berufung gegen die Entscheidung der Strafkammer hinsichtlich der Offenlegung von Unterlagen in Zusammenhang mit seinem angeblichen Amnestie-Abkommen mit Richard Holbrooke ein.

Diese entschied am 27. Jänner 2009 bezüglich seines zuvor eingereichten Antrags auf Verlängerung der Frist, in welcher er seine Berufung einbringen müsse, dass keine ausreichende Begründung für eine Ausdehnung bis 02. Februar 2009 gegeben sei. Das Argument Karadžićs, er wolle sich angesichts der Wichtigkeit der Angelegenheit vor der Einreichung gerne mit seinem Rechtsbeistand beraten, wurde mit Verweis auf die ihm mehrfach nahegebrachten Nachteile, welche zwangsläufig mit einer Entscheidung, sich vor Gericht selbst zu vertreten, einhergingen, als unzureichend betrachtet. Dem Gesuch, den Beginn der Frist wie auch vor der Strafkammer nicht mit der eigentlichen Herausgabe der Entscheidung, sondern der Übergabe der b/k/s-Übersetzung an den Angeklagten festzulegen, gab die Berufungskammer allerdings erwartungsgemäß statt.

Karadžić führt insgesamt drei Begründungen seiner Berufung an: Eine Fehlentscheidung der Strafkammer auf Basis der Annahme, dass "wie allgemein anerkannt, jede Form der Immunität hinsichtlich einer Anklage wegen Völkermord, Kriegsverbrechen und/oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor einem internationalen Tribunal gemäß internationalem Recht ungültig sei", ein weiterer Irrtum in Hinblick auf die Folgerung, dass weder das Mandat des Gerichts, noch jenes des Anklägers durch eventuelle Zusagen Holbrookes berührt werde, sowie drittens die angesichts der Verweigerung einer Offenlegung mögliche Feststellung von Prozessmissbrauch durch die Berufungskammer, welche - ungeachtet der Gültigkeit oder Relevanz des Abkommens mit Holbrooke - zu einer Niederlegung des Verfahrens führen könne.

Karadžić argumentiert, dass ein Abkommen hinsichtlich einer Nichtverfolgung durch das ICTY unter internationalem Recht nicht von vornherein ausgeschlossen sei. Die Strafkammer hätte verabsäumt, externe Quellen oder Präzedenzfälle zur Untermauerung ihrer Behauptung, ein derartiges Immunitätsabkommen wäre per se ungültig, heranzuziehen. Darüber hinaus habe es sich in seinem Fall nicht um ein allumfassendes Amnestieversprechen, sondern lediglich ein Kooperationsabkommen gehandelt, welches sich ausschließlich auf Straffreiheit vor dem ICTY, nicht jedoch generelle Amnestie, beziehe. Karadžić verweist im Gegenzug auf diverse Beispiele unterschiedlicher Art, welche die grundsätzliche Rechtmäßigkeit eines solchen Abkommens bestätigen würden.
Weiters zieht Karadžić die Anwendbarkeit von Artikel 7(2) des Statuts des ICTY, welcher festhält, dass eine Position als Staats- oder Regierungschef nicht von krimineller Verantwortung und damit Verfolgung durch das Tribunal befreie, auf seinen Fall in Zweifel, da das geschlossene Abkommen nicht unmittelbar auf seine offizielle Position bezogen gewesen sei und dementsprechend völlig andere rechtliche Implikationen mit sich bringe. Die Verpflichtung zur Verfolgung von Verstoßen gegen internationales humanitäres Recht müsse daher gegen die langjährige Praxis, in Friedensverträgen und vergleichbaren Abkommen Klauseln zum Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung einzuarbeiten, abgewogen werden. Über die Auswirkungen auf Karadžićs Fall hinaus würde die Kammer andernfalls "die Hände jener binden, die versuchen, Frieden in von Kriegen erschütterten Regionen zu erreichen".

Mehrfach betont Karadžić die Möglichkeit, Verfahren vom ICTY an nationale Gerichts zu verlagern - ohne dass dies als eine unzulässige Form der Immunität vor dem Tribunal gewertet werde, sowie die Tatsache, dass die einzelstaatliche Verpflichtung zur Verfolgung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch einen Verzicht auf eine Anklage vor dem ICTY selbstredend unangetastet bleibt.

Hinsichtlich des zweiten Berufungsgrundes kritisiert Karadžić, dass die Kammer schon vor einer Offenlegung eventuell in dieser Hinsicht relevanter Dokumente rigoros bestreitet, dass ein möglicherweise bestehendes Abkommen die Arbeit des Gerichts in irgendeiner Weise berühren könnte. Damit werde die Offenlegung effektiv verhindert, obwohl Unterlagen darunter fallen könnten, welche sehr wohl eine Verknüpfung zwischen dem Abkommen und der Tätigkeit des Tribunals herstellen, beispielsweise schriftliche Anweisungen des damaligen Chefanklägers Richard Goldstone an Holbrooke. Primär sei daher das Verhältnis zwischen Holbrooke und dem ICTY zu klären, bevor über die Frage der Relevanz des Abkommens entschieden werden könne. Weiters könne das Abkommen Karadžićs Ansicht zufolge selbst dann relevant sein, wenn Holbrooke zwar keine faktische Ermächtigung zum Abschluss einer derartigen Vereinbarung im Namen des Tribunals hatte; diese jedoch der zweiten Vertragspartei - also Karadžić bzw. Milošević - glaubhaft gemacht wurde. Das Beharren der Strafkammer auf der Irrelevanz eines eventuellen Abkommens in Bezug auf die Offenlegung von Beweismitteln mache es Karadžić jedoch unmöglich, diese "scheinbare Autorität" Holbrookes wirksam zu belegen.

Der dritte Punkt zielt auf die Möglichkeit einer generellen Niederlegung des Verfahrens durch die Berufungskammer auf Grund des durch das Abkommen nach Karadžićs Ansicht potentiell verübten Prozessmissbrauchs. Er verweist auf frühere Fälle vor dem ICTY, in welchen auch das Verhalten Dritter - konkret der SFOR - als Basis für die Rechtmäßigkeit von Vorgängen in Zusammenhang mit Prozessen vor dem ICTY herangezogen und durch die Strafkammer beurteilt wurde.

In seiner Berufung streicht Karadžić erneut die Bedeutung der Entscheidung der Berufungskammer für den zukünftigen Umgang mit entsprechenden Situationen, insbesondere in Hinblick auf das Verhalten politischer Führer in internationalen Krisen und die Gestaltung von Friedensverhandlungen und diplomatischen Abkommen heraus.

siehe:

Appeal of decision concerning Holbrooke agreement disclosure (28.01.2009)
Decision on motion for extension of time (27.01.2009)
Order assigning judges to a case before the appeals chamber (26.01.2009)