Durch die Strafkammer wurde am 09. April 2009 ihre Entscheidung hinsichtlich Radovan Karadžićs Antrag vom 11. Dezember 2008 auf ein Interview mit dem früheren Außenminister der Republika Srpska, Aleksa Buha, sowie die Übernahme der Kosten für dessen Anreise nach Den Haag veröffentlicht. In demselben Schriftstück wurde auch die Entscheidung über Karadžićs dritten Antrag auf Offenlegung von Unterlagen in Zusammenhang mit dem Holbrooke-Abkommen vom 04. Februar 2009 behandelt, nachdem sich die beiden Anträge teilweise thematisch überschneiden. Die Entscheidungsfindung wurde durch die Strafkammer bewusst bis zur Entscheidung der Berufungskammer hinsichtlich der Offenlegung von Dokumenten vertagt.
Zur Beurteilung der Entscheidung der Registry bezüglich der Ablehnung der Kostenübernahme für Buhas Anreise beruft sich die Strafkammer, wie beispielsweise bereits in Hinblick auf die Frage der Entlohnung der Mitglieder von Karadžićs Verteidigungsteam, auf den diesbezüglich durch die Berufungskammer im Verfahren gegen Miroslav Kvočka et al. (IT-98-30/1) etablierten Standard. Demgemäß ist eine administrative Entscheidung der Registry lediglich dann auszusetzen oder neu zu beurteilen, wenn diese von falschen Voraussetzungen ausgehend oder unter Missachtung der geltenden Regelungen eine Fehlentscheidung getroffen hat. Karadžićs Reaktion vom 12. Jänner 2009 auf die schriftliche Antwort der Registry wurde nicht in de Entscheidungsfindung miteinbezogen, nachdem diese nach Ansicht der Strafkammer keinerlei neue Argumente enthält und die zur Eingabe einer derartigen neuerlichen Darstellung notwendige Erlaubnis der Kammer somit nicht rückwirkend erteilt wurde. Die Strafkammer stimmt der Registry darin zu, dass dem Angeklagten zum aktuellen Zeitpunkt ausreichend andere Kontaktmöglichkeiten zu potentiellen Zeugen zur Verfügung stünden, sodass die Ablehnung der Reisekostenübernahme keine Einschränkung seines Rechts auf ein faires Verfahren bedeute. Darüber hinaus hält sie in Übereinstimmung mit ihrer eigenen diesbezüglichen Entscheidung vom 17. Dezember 2008, sowie der bereits erwähnten Entscheidung der Berufungskammer fest, dass das Holbrooke-Abkommen - und somit sämtliche Zeugenaussagen Buhas, der laut Angabe des Angeklagten ja insbesondere zu ebendiesem befragt werden soll - lediglich für die Bemessung des abschließend verhängten Strafmaßes relevant sei und somit zum jetzigen Zeitpunkt nicht dringlich sei. Im weiteren Verlauf könne Buha gegebenenfalls auf die Zeugenliste der Verteidigung nach Rule 65ter der RPE gesetzt werden, wodurch auch die Übernahme der Reiseorganisation und -kosten durch die zuständige Abteilung des Tribunals (Victims ans Witness Section, VWS) möglich werde.
Bezüglich der neuerlich beantragten Offenlegung sieht die Strafkammer die notwendigen Vorgaben, darunter die spezifische Beschreibung der geforderten Dokumente, sowie den Nachweis der Wahrscheinlichkeit, dass sich diese in Besitz der Anklagevertretung befinden, teilweise als erfüllt an. Die Anklage wurde angewiesen, die durch Karadžić geforderten Unterlagen in Zusammenhang mit dem von ihm erwähnten Treffen zwischen NATO-General Wesley Clark und der früheren Chefanklägerin Louise Arbour, in Zuge dessen diese das angebliche Immunitätsabkommen besprochen haben sollen, offenzulegen. Die ebenfalls geforderten Transkripte von diesbezüglichen Aussagen der früheren Präsidentin der Republika Srpska, Biljana Plavšić, wurden insofern abgelehnt, als die Anklage bereits zuvor bekannt gegeben hat, sämtliche dieser Protokolle im Zuge der regulären Offenlegung an den Angeklagten zu übergeben. Die dritte angeforderte Kategorie, welche durch den Angeklagten als "sämtliche sonstigen Unterlagen in Zusammenhang mit dem Abkommen" beschrieben wurde, wurde durch die Strafkammer wie bereits in ihrer früheren Entscheidung als zu unspezifisch abgelehnt. Sie betonte weiters erneut, dass entsprechend den vorangegangenen Entscheidungen sämtliche genannten Materialien lediglich für die Bestimmung des Strafmaßes ausschlaggebend sein könnten.
Abschließend wurde der Angeklagte angewiesen, seine "preliminary motion" betreffend das angebliche Abkommen, für welche ihm am 30. März 2009 eine Fristverlängerung gewährt worden war, bis zum 23. April 2009 einzubringen.
Am 14. April 2009 wurde durch Radovan Karadžić ein Antrag auf Berufung gegen den Teil der Entscheidung, welcher sich mit der Gewährung des Interviews mit Buha bzw. der Übernahme seiner Reisekosten befasst, gestellt. Er gibt an, dass ihn die Vorgangsweise der Registry, welche nunmehr durch die Strafkammer bestätigt wurde, auf Grund seiner Inhaftierung letzten Endes davon abhalte, bis zu einem wesentlich weiter fortgeschrittenen Zeitpunkt des Verfahrens irgendeinen möglichen Zeugen selbst zu befragen. Weiters stellt er klar, dass Buha keineswegs ausschließlich zu dem Abkommen zwischen ihm und Holbrooke befragt werden soll.
Entsprechend der Aufforderung der Strafkammer bestätigte die Anklagevertretung am 15. April 2009 , dem Angeklagten sämtliche Protokolle und Dokumente in Zusammenhang mit dem Verfahren gegen Biljana Plavšić, sowie diverse darüber hinaus reichende und nicht unmittelbar von der Anordnung der Kammer abgedeckte Unterlagen übergeben zu haben. Am 17. April 2009 erklärte sie weiters, über keinerlei Unterlagen in Zusammenhang mit dem erwähnten Treffen zwischen Arbour und Clark zu verfügen.
siehe:
Prosecution's notice relating to a meeting between Louise Arbour and General Wesley Clark (17.04.2009)
Prosecution's notice of disclosure of material relating to Biljana Plavšić (15.04.2009)
Application for certification to appeal decision on motion for interview of defence witness (14.04.2009)
Decision on accused motion for interview of defence witness and third motion for disclosure (09.04.2009)