03.05.2009

Entscheidung bez. Preliminary Motions

Die Strafkammer gab am 28. April 2009 ihre Entscheidung hinsichtlich sechs von Radovan Karadžić gestellten "preliminary motions" bekannt. Konkret handelt es sich dabei um jene vom 10. März 2009 bezüglich der Streichung von Absatz 60(k) der Anklageschrift; vom 16. März 2009 bezüglich der Vorhersehbarkeit von im Zuge eines JCE verfolgten Straftaten; vom 18. März 2009 bezüglich der Streichung des 11. Anklagepunkts; vom 25. März 2009 bezüglich der Herstellung von Verantwortlichkeit durch Unterlassung; vom 27. März 2009 bezüglich der Nachweisbarkeit der für bestimmte Verbrechen definitionsgemäß erforderlichen Absicht über die Beteiligung an einem JCE; sowie vom 30. März 2009 bezüglich der Verantwortlichkeit als Vorgesetzter für Straftaten nach Artikel 7(3) des Statuts.

Nachdem die Anklagevertretung in einer Reihe von Eingaben in Reaktion auf Karadžićs "preliminary motions" angegeben hatte, dass diese von vornherein abzulehnen seien, da sie sich nicht mit den im Rahmen derartiger Anträge anzusprechenden Fragen der Zuständigkeit des ICTY im engeren Sinn befassen würden, wendet sich die Strafkammer zunächst diesem Aspekt zu. Nach Überprüfung früherer Entscheidungen vor dem Gericht, welche sich mit der Definition einer korrekten Anfechtung seiner Jurisdiktion befassen, kommt sie zu dem Schluss, dass tatsächlich keine der durch Karadžić gestellten "preliminary motions" den spezifischen Vorgaben von Rule 72(D)(iv) gerecht wird. Sie merkt darüber hinaus an, dass Karadžić diverse vorhergehende Entscheidungen falsch bzw. missverständlich ausgelegt habe, um seine jeweiligen Standpunkte zu untermauern.

Die Strafkammer geht in weiterer Folge dennoch auf die jeweils erhobenen Einwände als Beanstandungen der Form der Anklageschrift ein, wobei die vorgebrachten Argumente insbesondere zur Orientierung der beiden Parteien in Hinblick auf den bevorstehenden Prozess dienen sollen. Hinsichtlich der ersten "preliminary motion" kommt sie zu dem Schluss, dass die in Absatz 60(k) der Anklageschrift erhobenen Vorwürfe auf Grund von Verfolgung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die geltenden Vorgaben hinsichtlich der Schwere von vor dem Tribunal verfolgten Verbrechen durchaus erfüllen. In Bezug auf die zweite "preliminary motion", welche sich mit der für eine Verfolgung notwendige Vorhersehbarkeit von Verbrechen bezieht, weist die Kammer die Anklage an, eine Ergänzung der Anklageschrift einzubringen, welche darlegt, welche Konsequenzen seines Handelns dem Angeklagten auf Grund seiner spezifischen Position bewusst gewesen sein müssen. Die betroffenen Anklagepunkte werden also trotz festgestellter Defizite bzw. Schwierigkeiten bei der Bestimmung der konkreten Vorhersehbarkeit von Verbrechen nicht gestrichen, sondern der Anklagevertretung eine Überarbeitung erlaubt.

Die in der dritten "preliminary motion" angezweifelte Zuständigkeit des ICTY für Anklagepunkt 11, die Geiselnahme von UN-Personal, betrachtet die Strafkammer auf Grund früherer Praxis des Tribunals trotz der durch Karadžić erhobenen Einwände als gegeben. Hinsichtlich der "preliminary motion" bezüglich der Herstellung von Verantwortlichkeit durch Unterlassung kommt die Strafkammer zu dem Schluss, dass die Rechtsprechung des Tribunals zur Anstiftung und Beihilfe durch Unterlassung durchaus eine entsprechende Herleitung von Verantwortlichkeit erlaube, sodass die von Karadžić beanstandete Formulierung keine Auswirkungen auf die Gültigkeit der Anklageschrift habe. Inwieweit die ihm durch die Anklage vorgeworfenen Handlungen und Unterlassungen tatsächlich als Anstiftung oder Beihilfe zu verübten Verbrechen zu betrachten sind, sei im Lauf des Verfahrens zu klären.

In Bezug auf die letzten beiden "preliminary motions" beschränkt sich die Kammer auf die neuerliche Feststellung, dass diese keine Beanstandung der Jurisdiktion des Tribunals, sowie auch keine regelkonforme Beanstandung der Form der Anklageschrift darstellen würden und geht dementsprechend nicht weiter auf die angesprochenen Fragestellungen ein.

Ausständig sind somit lediglich noch die Entscheidungen in Bezug auf Karadžićs "preliminary motions" vom 19. und 20. März 2009.

Die Anklagevertretung brachte am 05. Mai 2009 einen Antrag auf Berufung gegen die Entscheidung der Strafkammer hinsichtlich Karadžićs zweiter "preliminary motion", betreffend die Vorhersehbarkeit von innerhalb eines JCE strafbaren Taten, ein. Nachdem der durch die Anklage derzeit angewandte Standard durch mehrere Entscheidungen vor dem ICTY gedeckt wird, fordert diese vor allem auf Grund des Zeitverlusts, welcher mit einer der Entscheidung der Strafkammer entsprechenden Überarbeitung verbunden wäre, eine Neubeurteilung der strittigen Passagen durch die Berufungskammer. Wie bereits durch Karadžić in der "preliminary motion", sowie seiner weiteren diesbezüglichen Eingabe vom 03. April 2009 festgestellt, existieren in der Rechtsprechung des Tribunals offenbar zwei unterschiedliche Standards, denen zufolge eine Tat einerseits eine mögliche Folge; andererseits jedoch eine natürliche und damit wahrscheinliche Folge des Verhaltens eines Angeklagten darstellen müsse. Die Anklage gibt an, sich in der Erstellung der Anklageschrift an den niedrigeren "Möglichkeits-Standard" gehalten zu haben und sieht eine Reihe von Nachteilen für den Ablauf des Verfahrens in dessen Ablehnung durch die Kammer, gegen welche sie dementsprechend berufen möchte.

Davon abgesehen wurde am 06. Mai 2009 durch Karadžić ein Antrag auf Berufung gegen jene Teile der Entscheidung der Strafkammer eingebracht, welche sich auf die Ablehnung seiner dritten, sechsten, siebenten und achten "preliminary motion" beziehen.

siehe:

Decision on six preliminary motions challenging jurisdiction (28.04.2009) [TIF]